Andretti und Jantke

Marco Werner berichtet exklusiv für CURBS von einem außergewöhnlichen Trackday: mit Mario Andretti auf der Jagd nach einem ganz besonderen Rekord
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Alter schützt vor Tempo nicht!

Im großen Motorsport begegnet man vielen bekannten Persönlichkeiten. Bei ganz Wenigen entsteht allerdings so ein persönliches Verhältnis wie zwischen Manfred Jantke und Mario Andretti. Beide verbindet eine lebenslange Freundschaft. Und auch zu Porsche, wo Jantke jahrelang Presse- und Motorsportchef war, hatte Mario Andretti ein freundschaftliches Verhältnis – obwohl er nie offiziell für Porsche gefahren ist.

Aber er absolvierte in den 70er Jahren einmal eine geheime Testfahrt in Weissach, als Porsche einen Indianapolis-Rennwagen in der Entwicklung hatte, und da gab Andretti Porsche seine Expertise über das Fahrzeug. Mario hat in seiner Karriere fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt – von der Formel-1-Weltmeisterschaft mit Lotus über die 500 Meilen von Indianapolis oder das Daytona 500 Rennen für Stockcars. Sein bis heute unerfüllter Traum ist ein Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans. Den versuchte Porsche ihm zu erfüllen, als man in den 80er Jahren mit dem Porsche 956 an der Sarthe so richtig am Drücker war. Porsche setzte einen dritten Werkswagen ein, der von den drei Andrettis gefahren wurde: Vater Mario, Sohn Michael und Neffe Jeff Andretti. Sie fuhren gut, hatten aber einen technischen Defekt und wurden nur Fünfte. Andrettis Traum blieb unerfüllt.

Auch nach Manfred Jantkes Porsche-Zeit hatten Andretti und er viel Kontakt, als Manfred Jantke für Eurosport TV die amerikanische INDY-Serie kommentierte. Andretti fuhr damals, neben Nigel Mansell, für Newman Haas Racing. Heute ist Mario noch mit einem zweisitzigen Indycar unterwegs, in dem er an den Rennwochenenden wichtige Gäste um die Strecke chauffiert – und das im Alter von 77 Jahren!

Gelegentlich telefonieren Jantke und Andretti noch heute. Andretti rief Manfred Jantke im Juni dieses Jahres an und lud ihn zu einer solchen Taxifahrt ein. „Du weißt alles über Road Racing, aber Du bist nie mit vollem Speed um ein Oval geflogen“, meinte Andretti am Telefon. Auf die Frage, wo sie das denn machen könnten, sagte Andretti: „Das machen wir auf dem Texas Speedway in Dallas – because there we are pulling the highest G Forces (dort erreichen wir die höchste Querbeschleunigung).“ Was anfangs wie Scherz klang, wurde Wahrheit.

Jantke ließ sich überreden und saß im Flugzeug nach Dallas zum Indycar-Rennen. Zwei Sportstars sind ehrgeizige Menschen und bleiben das ein Leben lang. Deshalb hat Mario einen Zweisitzer mit 3 Liter Hubraum, damit er etwa gleich schnell ist wie die regulären Indycars, die über 2,6-Liter-Motoren verfügen. In dem mit einem sehr langen Radstand gesegneten Rennwagen finden selbst Mitfahrer mit einer Körperlänge von 1,85 Metern erstaunlich gut Platz. Die Fixierung im Cockpit ist vorbildlich, genauso wie für einen Rennfahrer, nur dass das Lenkrad fehlt.

Der Texas-Speedway ist ein 1,5-Meilen-Oval mit stark überhöhten Kurven. In den Kurven bauen sich enorme Fliehkräfte auf. An der Außenseite waren sehr harte Reifen montiert und innen viel weichere. Die Mitfahrt ist atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Manfred Jantkes Befürchtung, unter den unglaublichen Querkräften könnte das Bewusstsein schwinden, bewahrheitete sich aber nicht. Auf Grund der langen Übersetzung hielten sich die Beschleunigungskräfte in Grenzen. Die würden aber schon jedem normalen Autofahrer die Luft nehmen. Aber dann kam das Duo in Fahrt und wie… Das zuvor noch sehr breite Asphaltband wurde bei höherer Geschwindigkeit zu einem schmalen Nadelöhr, an dem alles nur noch so vorbeiflog und dass einem gar keine Zeit mehr blieb, die Umwelt wahrzunehmen.

„Das Beschleunigen war noch okay,“ so Jantke nach der Fahrt, „viel mehr hat man größte Probleme zu atmen, wenn die G Kräfte wirken, und das waren immerhin 5G.“ Das raubte ihm die Luft. Mario Andretti, mittlerweile 77 Jahre alt sowie ein Vollgastier und Racer bis heute, ließ es so richtig fliegen im Oval von Texas. Manfred Jantke, 79 Jahre alt, genoss das Erlebnis in dem Wissen, dass er und Mario hier einen „Rekord“ für die Ewigkeit aufstellen würden. Sie fuhren in dem Oval einen Durchschnitt von 314 km/h auf fünf Runden! Wir kennen keine Statistik, aber wir können uns vorstellen, dass hier ein neuer Weltrekord für Senioren aufgestellt wurde. Denn wann fahren ein 79- und ein 77-Jähriger schon einmal einen Schnitt von 314 km/h? In einem Indycar! Und der wird sicher lange Bestand haben, denn wie oft wird sich ein 77-Jähriger an das Steuer eines Indycars setzen und so beherzt Gas geben wie es Mario Andretti getan hat?