Der Ferrari 312 B3 die „Vitaminspritze“

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Ferrari 312 B3, Chassis-Nummer „010“, von 1973/74, Ex-Ickx, Ex-Lauda

Mit der Einführung des Ferrari 312 B 1970, des ersten mit Boxer-12-Zylinder-Motor und damit auch einer neuen Formel-1-Baureihe, fuhr sich das Team aus Maranello nach längerer Zeit in die Position zurück, um Formel-1-Weltmeistertitel kämpfen zu können. In dieser Position war Ferrari in der Dreiliter-Formel-1 davor zuletzt 1966 mit dem ersten Tipo 312 gewesen. Allerdings verließ damals John Surtees nach seinem Sieg im belgischen Grand Prix in Spa in laufender Saison nach einem Krach mit dem seinerzeitigen Ferrari-Rennleiter Eugenio Dragoni bei den 24h Le Mans das Team, wechselte und nahm seine Punkte mit zu Cooper-Maserati, gewann mit dem Cooper-Maserati noch den mexikanischen Grand Prix und wurde mit diesem Team letztlich Vizeweltmeister 1966. In den nächsten drei Jahren gewann Ferrari lediglich einen einzigen Grand Prix, 1968 durch Jacky Ickx in Rouen/Frankreich. Ein regelrechtes Desaster gar wurde die Ferrari-Saison 1969 mit nur einem dritten Platz in Zandvoort/Niederlande durch Chris Amon, der später im Jahr auch noch die dringend überfällige Neukonstruktion 312 B testete, nach drei ernüchternden Jahren Ferrari aber auch verließ.

Mit dem 312 B war dann 1970 wieder Jacky Ickx derjenige, der nach Siegen in den Grands Prix von Österreich und Kanada, da schon nach dem Unfalltod Jochen Rindts in Monza, bis zum vorletzten WM-Lauf in Watkins Glen/USA neben Rindt auch noch eine Titelchance hatte, sie dort aber in der 57. Runde durch einen längeren Boxenstopp wegen Kraftstoffleitungsbruch verlor. Der 312 B überzeugte im Vergleich zur Konkurrenz vor allem durch eine überlegene Motorleistung und erfuhr für 1971 Detail-Modifikationen, präsentiert in der Version 312 B2, die dann moderater weiterentwickelt noch bis Anfang 1973 eingesetzt wurde, mit allerdings auch zurückgehenden Erfolgen. Die beiden Siege bei den Grands Prix Niederlande in Zandvoort 1971 in strömendem Regen, seiner „Spezialdisziplin“, und Deutschland auf der Nürburgring-Nordschleife 1972, seiner erklärten Lieblingsstrecke, waren eher Heldentaten des Fahrers Jacky Ickx. Zu diesem Zeitpunkt wirkte der B2 im Vergleich zur Konkurrenz vom Design her auch schon etwas klobig.

Nun hatte ebenfalls bereits 1970 Lotus mit der Präsentation des Weltmeisterwagens Typ 72, des ersten Formel-1-Rennwagens mit Seitenkühlern und keilförmiger Wagenschnauze, eine neue Richtung im Formelwagen-Fahrgestellbau vorgegeben, und dieses Feld war bis dahin im Vergleich zu den Herstellern von der britischen Insel ohnehin nur ganz selten auch eine Ferrari-Stärke. Hier zogen die Italiener in aller Regel immer wieder verspätet nach. Die Seitenkühler übernahm March mit dem 711 dann auch bereits 1971, stellte in jenem Jahr mit Ronnie Peterson den Vizeweltmeister, in der Folge gesellten sich Surtees mit dem TS 9 B, BRM mit dem P 180 sowie Anfang 1973 auch McLaren mit dem M 23 zu dieser Fraktion – da war der Frontkühler bereits out. Und wieder wurde es für Ferrari allerhöchste Zeit, ein von Grund auf neu konzipiertes Auto zu bauen. Schon während der Saison 1972 war allerdings der Ferrari-Technikchef Mauro Forghieri, der noch mit der „Schneepflug“-Version einen 312 B3-Vorläufer für Tests auf die Räder gestellt hatte, hausintern in die Entwicklungsabteilung „verbannt“ worden. Und Fiat hatte seinen Ingenieur Sandro Colombo zu Ferrari dirigiert, der für einige Monate Forghieris Position einnahm, länger als die zunächst geplanten drei Monate. Colombo hatte viele Jahre zuvor unter anderem Gilera-Rennmotorräder und auch die Lambretta-Autos bei Innocenti konstruiert.

B3-Urform – zuerst nicht mit Seitenkühlern

Unter seiner Federführung entstand der Ferrari 312 B3, in der Linienführung schnittiger als der B2. Das Auto wurde sowohl mit Frontkühler als auch mit zwei Seitenkühlern vorgestellt, nach diversen Schwierigkeiten mit dem für Ferrari noch unkonventionellen Kühler-Layout im Hinblick auf Gewichtsverteilung und auch Thermik jedoch nur mit Frontkühler eingesetzt. Der B3 war der erste Monoposto des Hauses in stilreiner Schalenbauweise, die Zelle – angeblich um eine Verzögerung durch Streiks auszuschließen – wurde allerdings bei „John Thompson’s Prototypes“ in Northampton gebaut. Italienische Streiks behinderten dann allerdings wiederholt Testfahrten.

Die Schalenbauweise an sich war allerdings nicht der einzige Unterschied. Die tragende Struktur – früher die Zelle mit Ausleger bis zur Hinterachse, Antriebsgruppe mittragend von unten eingehängt – folgte jetzt der Grundkonzeption sämtlicher Ford-Cosworth-getriebener Wagen: Das Monocoque endete stirnseitig am Motor, der über gegossene Leichtmetallträger nun ganz die Rahmenfunktion übernahm. In Höhe der Kupplung nahm eine gleichfalls gegossene Traverse die oberen Querlenker, Federn, Stoßdämpfer und den Stabilisator auf, die unteren Dreieckslenker lagerten in Gussaugen am Differenzial, zwei zusätzliche, nach hinten gerichtete Zugstreben in einer mit der Getriebeunterseite verschraubten Traverse. Je ein oberer Längslenker, vorn an der Zelle, hinten am Radträger angelenkt, rundeten die Hinterradaufhängung ab.

Die kastenförmige, gegenüber den meisten Konkurrenten etwas voluminöse Zelle bestand wesentlich aus zwei rechteckigen, jeweils in Tank- und Knautschzone unterteilten Längsträgern, zwei Spanten, dem Armaturenaufsatz und dem über die ganze Breite durchgezogenen Wagenboden. Der vordere Spant trug eine zweiteilige Leichtmetallbrücke zur Aufnahme der Ferrari-üblichen Kipphebelquerlenker nebst Zubehör, Stabilisator, der Zahnstange und einer räumlichen Struktur aus Stahlrohren, in der die unteren Dreieckslenker – sehr breite Basis, Diagonalstrebe – gelagert und Kühler sowie Hydraulikzylinder aufgehängt waren. Die Lockheed-Vorderradbremsen, radial belüftet und nicht gelocht, waren im Gegensatz zu den hinteren außenbords montiert. Die zwei-teilige Lenksäule war dem Lenkrad zu horizontal, in Richtung Zahnstange steil nach unten geführt. Die Motorleistung des Boxer-12-Zylinders war nominal sukzessive von ehemals rund 450 PS bei 11.000/min 1970 bis Anfang 1973 auf rund 485 PS bei 12.500/min gesteigert worden, der Ferrari-Motor galt weiterhin als leistungsstärkstes Triebwerk im Starterfeld.

„010“ – der Erste seiner Art

Der allererste Ferrari 312 B3 auf den Formel-1-Rennstrecken im Renneinsatz war die auf diesen Seiten präsentierte Fahrgestellnummer „010“. Und vom Tempo her debütierte die Konstruktion in den Händen von Jacky Ickx mit den Startplätzen sechs beim spanischen Grand Prix im Montjuic Park Barcelona und gar drei beim belgischen Grand Prix in Zolder durchaus vielversprechend. Aber sie sah zunächst wohl besser aus als sie es dann tatsächlich war. In Barcelona musste Ickx im Rennen wegen Bremsproblemen einen außerplanmäßigen Boxenstopp einlegen und wurde lediglich Zwölfter. In Zolder war er bereits nach sechs Runden auf Platz drei liegend mit Ölpumpendefekt draußen, im anschließenden Grand Prix von Monaco ebenfalls auf Platz drei liegend nach 45 Runden mit Antriebswellenbruch. Nach dem schwedischen Grand Prix in Anderstorp, den er als Sechster beendete, meldete er, der Wagen wäre „schwer kontrollierbar“. Da hing aber im Team schon längst der Haussegen schief.

Anfang 1973 war Jacky Ickx mit Abstand der erfolgreichste Ferrari-Pilot nicht nur der frühen 70er Jahre, sondern seit längerem. Er hatte seit 1970 fünf Formel-1-Grands Prix sowie einen Nicht-WM-Lauf in Hockenheim 1971 gewonnen und darüber hinaus 1972 einen hohen fahrerischen Anteil am Gewinn der Markenweltmeisterschaft durch Ferrari mit dem Rennsportwagen 312 PB mit allein nicht weniger als sechs eigenen Saisonsiegen. Der Belgier konnte in jener Epoche zweifellos zu den fünf besten Rennfahrern gerechnet werden. Dennoch war der Commendatore Enzo Ferrari nun ganz schnell dabei, Ickx die Formel-1-Mißerfolge anzulasten, beschwerte sich unter anderem darüber, dass der für Testfahrten nicht ausreichend zur Verfügung stünde, was Ickx sogar widerlegte – und das alles in der Öffentlichkeit, in italienischen Tageszeitungen. Selbst Ickx‘ Privatbriefe an ihn mit Änderungsvorschlägen für das Auto reichte Enzo Ferrari noch an die Zeitungen weiter… Die Beziehungen waren zerrüttet, beide Seiten trennten sich – während das Auto in den Startplätzen zurückfiel bis auf Rang 19 in Silverstone (!) – noch vor Saisonende. In Zandvoort und am Nürburgring war dann gar kein Ferrari am Start, Ickx fuhr im deutschen Grand Prix einen McLaren M 23 auf Anhieb von Startplatz vier auf Rang drei und kehrte nur noch einmal, beim italienischen Grand Prix, in das 312 B3-Cockpit „010“ zurück – Achter nach Startplatz 14…

Forghieris Ideen und 10.000 Testkilometer

Das war aber bereits eine vom eilig an die Front zurückgeholten Forghieri (!) stärker überarbeitete Version, die zuvor beim österreichischen Grand Prix in Zeltweg unter dem Italiener Arturo Merzario, der sich selbst schon für die „Nummer eins“ hielt, mit sechstem Startplatz und Rang sieben im Rennen debütiert hatte (andere Fahrgestellnummer). Sie unterschied sich wesentlich von der Vorgänger-Ausführung durch eine kompaktere Zelle, extrem geneigte, fast flach liegende Seitenkühler, eine durchgehende Frontabtriebsfläche sowie ein geänderte Geometrie der Vorderradaufhängung. Wie bei der Konkurrenz sorgte nun eine Airbox über dem Motor für noch mehr gezielte Luftzufuhr hier. Bei dieser Version sollen keine Handlingprobleme mehr durch die Seitenkühler wie noch zu Jahresbeginn 1973 aufgetreten sein. Merzario, nach Zeltweg nicht mehr unter den sechs Schnellsten in den Startaufstellungen, holte allerdings 1973 auch keine WM-Punkte für Ferrari mehr. Da absolvierte aber längst schon das für 1974 avisierte neue Fahrerduo, die 73er BRM-Piloten Niki Lauda und Clay Regazzoni, im Hintergrund erste Ferrari-Tests…

Bereits Mitte 1973 hatte der gerade 26-jährige Luca di Montezemolo aus Bologna, ein gewandter, weltoffener, mehrsprachiger Jurist mit eigener Rennfahrer-Vergangenheit, zunächst als persönlicher Assistent Enzo Ferraris, der von Montezemolo begeistert war, und sehr bald als Rennleiter das Management der Motorsport-Aktivitäten übernommen und sich in einer seiner ersten Amtshandlungen erfolgreich dafür eingesetzt, dass Mauro Forghieri wieder Technik-Chef wurde. In der Folge entwickelte er auch ein sehr gutes Verhältnis zu Fahrer Niki Lauda. Lauda und Regazzoni wiederum, Letzterer nach 1972 als Ferrari-Heimkehrer, erarbeiteten gemeinsam mit Forghieri innerhalb eines Monats über rund 10.000 Testkilometer, den Arbeitstag um neun Uhr beginnend, eine sehr schlagkräftige Version des Ferrari 312 B3, die sich schon äußerlich wesentlich durch glattere Flächen sowie ein noch nach vorn verlagertes Cockpit zur weiteren Verbesserung der Schwerpunktlage vom letzten 73er Exemplar unterschied. Darüber hinaus erfuhr der Motor noch einmal eine vollständige Überarbeitung, dessen Leistung jetzt nominal mit 490 bis 495 PS bei 12.500/min angegeben wurde. Das wurde sogar der Formel-1-Rennwagen, den es 1974 zu schlagen galt.

Titelchance 1974 für Clay Regazzoni bis zum letzten WM-Lauf

Schon beim WM-Auftakt 1974 in Argentinien fuhren Lauda und Regazzoni als Zweiter und Dritter gleich Podiumsplätze heraus, das war 1973 nie vorgekommen. Beim dritten WM-Lauf, dem Grand Prix Südafrika in Kyalami, stand Niki Lauda erstmals auf der Pole-Position, beim viertem, dem spanischen Grand Prix in Jarama, feierten er und Clay Regazzoni einen ersten überlegenen Doppelsieg. Selbiges gelang im Juni 1974 gleich noch einmal beim niederländischen Grand Prix in Zandvoort. Clay Regazzoni, der mit 50 Sekunden Vorsprung gegenüber Jody Scheckter (Tyrrell) auf der Nürburgring-Nordschleife triumphierte, hatte bis zum letzten WM-Lauf, dem Grand Prix der USA in Watkins Glen, dank zahlreicher Podiumsplatzierungen neben McLaren-Pilot Emerson Fittipaldi auch noch eine Titelchance, verlor sie dort aber wegen schlechten Fahrverhaltens des Ferrari und drei außerplanmäßigen Boxenstopps zwecks Reifen- und Stoßdämpferwechsel.

Die Chassis-Nummer „010“ war 1974 wesentlich Ersatzwagen, kam aber auch noch zu zwei Renneinsätzen. Beim nicht zur Weltmeisterschaft zählenden „Race of the Champions“ in Brands Hatch am 17. März startete Niki Lauda damit von Startplatz drei hinter James Hunt (Hesketh 308-Ford Cosworth) und dem Teamgefährten Clay Regazzoni in 40 Rennrunden mit Dauerregen hin-ein. Sehr bald kontrollierte Lauda das Geschehen, auch für längere Zeit, aber dann „tigerte“ ausgerechnet Ex-Ferrari-Pilot Jacky Ickx in „seinem“ Wetter, aber auf einem da schon betagten Lotus 72-Ford Cosworth heran, überholte auch Lauda noch und siegte mit 1,5 Sekunden Vorsprung. Als Niki Lauda dann im Donnerstagtraining zum Grand Prix von Monaco 1974 einen Unfall hatte, wurde „010“ noch einmal für ein Rennen flott gemacht. Mit ihm eroberte Lauda freitags die Pole-Position, fiel aber im Rennen in Führung nach 33 Runden mit defekter Zündbox aus.

„Methusalem“ nahm sich das fast Unmögliche vor

In der Folge wurde der Ferrari 312 B3 mit Chassis-Nummer „010“ lange Zeit nur selten bewegt. Es beschränkte sich wesentlich auf ein paar Demofahrten wie etwa auch beim Goodwood Festival of Speed. Der heutige Besitzer übernahm das Auto 2016 kurz vor dem Grand Prix de Monaco Historique und setzte es erstmals – mehr oder weniger unangetastet – ein. Fahrer Marco Werner stellte das Fahrzeug in jenem Rennen frühzeitig mit Bremsproblemen ab, und auch der Motor zeigte Verfallserscheinungen – ein Hauptgrund, warum man kaum alte Ferraris bei Historischen Rennveranstaltungen sieht. Traut sich doch kaum jemand an die Motorrevisionen heran. Doch bei der Kölner Firma „Methusalem“ des Ferrari- und Maserati-Spezialisten Mario Linke nahm man sich das fast Unmögliche vor und überholte in einer aufwändigen Aktion den Motor neu. Jetzt lebt der Motor des Ferrari 312 B3 wieder sein „artgerechtes“ Drehzahlleben und erfreut sich seiner 12.500 Umdrehungen. Die meisten anderen Ferrari-Modelle werden eher im Schongang bewegt. Lohn der tollen Arbeit seitens Methusalem: Platz drei in den Händen von Marco Werner beim Grand Prix de Monaco Historique 2018!


TECHNISCHE DATEN

Ferrari 312 B3, Chassis-Nummer „010“, Ausführung 1974

Motor
Ferrari-Boxer-12-Zylinder
Ventile pro Zylinder: vier
Ventilsteuerung: vier Nockenwellen, Zahnrad-getrieben (auf der Schwungseite)
Bohrung/Hub: 78,5 mm x 51,5 mm
Hubraum: 2.991 ccm
Gemischaufbereitung: Lucas-Saugrohreinspritzung
Zündung: Marelli-Transistorzündung
Verdichtungsverhältnis: 11,8:1
Leistung: 490-495 PS bei 12.500/min

Kraftübertragung
Ferrari-Typ 627-Fünfgang-Getriebe
Heckantrieb

Fahrwerk
Aluminium-Voll-Monocoque, Antriebsgruppe tragend
Aufhängung vorn: doppelte Querlenker, Stabilisator, Schraubenfedern, Koni-Stoßdämpfer
Aufhängung hinten: je ein oberer Längslenker, Schraubenfedern, Koni-Stoßdämpfer
Reifen-Dimensionen vorn/hinten: 9.2/20.0-13 und 16.2/26.0-13
Bremsen: Lockheed-Scheibenbremsen rundum, hinten innenliegend
Lenkung: Zahnstangenlenkung

Abmessungen und Gewichte
Länge: 4.335 mm
Breite: 2.056 mm
Spur: v. 1.600 mm, h. 1.640 mm
Radstand: 2.500 mm
Leergewicht: 578-582 kg